Liebe Nettelnburgerinnen und Nettelnburger, liebe Gemeindeglieder!

Jetzt wird es spannend! Eine neue Person wird nach Bugenhagen in das Pastorat ziehen. Und viele Menschen fragen sich schon: wer wird das sein? Passt diese Person zu unserer Gemeinde? Wird sie beleben, was alles durch Corona eingeschlafen ist? Wird nun wieder alles so, wie es schonmal war?

Zum letzten möchte ich – auch als einer der dann bald gehen wird (siehe nächster Turmhahn) – sagen: ich hoffe, nicht! Denn alles ändert sich. (Martin Luther hat sogar gesagt, dass die Kirche tot ist, wenn sie sich nicht verändert) Und auch jeder von uns ist immer anders. Sie kennen doch den Zusatz „in guten wie in schlechten Zeiten“, den sich Menschen beim Eheversprechen zusagen. Dieser schlaue Satz geht davon aus, dass wir nicht immer die gleichen sind. Das wir mit manchen Dingen gut umgehen können und mit anderen nicht. Als Pastor geht es mir da nicht anders als allen anderen.

Und wenn nun eine neue Person hier beginnen wird, ist das eine gute Gelegenheit, die Frage nach dem „wer bist Du?“ umzudrehen in ein „wer bin ich?“ Wir beginnen jeden Gottesdienst mit einem kleinen Gebet, in dem wir Gott bitten, er möge annehmen, so wie wir gerade da sind. Das sagen wir mit den alten Worten: „Herr, erbarme dich“ (oder auf griechisch „Kyrie eleison“) Im Prinzip sagen wir damit sowas wie: „Gott, sieh dir mal an, wie ich heute hier bin. Manches ist mir richtig gut gelungen. Manches habe ich wieder total verbockt. Und bei manchem kann ich gar nicht sagen, wie es mir damit geht… bitte nimm mich so, wie ich bin. Mach aus allem etwas, das in deinem Sinne ist“

Jeder Gottesdienst hat zu Beginn also die Chance auf einen kleinen Neuanfang. Und wir können jeden Tag ja mit so einem kleinen Gebet anfangen und damit jedem Tag die gleiche Chance geben. Diese Chance hat jetzt auch die Gemeinde mit der neuen Person, die hier anfangen wird.

Ein sehr gestandener Pastor hat in einer äußerst schwierigen Situation sich übrigens mit der gleichen Frage beschäftigt. Das finden Sie weiter Unten…

Mit einem lieben Gruß,

Thorsten Pachnicke

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
oder bin ich nur das, was ich selber von mir weiß?
unruhig, sehnsüchtig, krank wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen.
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Dietrich Bonhoeffer 1944