Liebe Nettelnburgerinnen und Nettelnburger,
liebe Gemeindeglieder! „Die Präsenzpflicht für die Schüler und viele Arbeitnehmer ist aufgehoben“ heißt es im harten Lockdown.
Für die Schule bedeutet die Alternative Distanzunterricht und für andere Arbeitsplätze Homeoffice. Dadurch wird die Präsenz zu Hause zur Herausforderung. Wie halte ich, wie halten wir es in den eigenen vier Wänden aus? Viele Familien empfinden diese Zeiten zu Haus als Geschenk, weil sie miteinander Zeit verbringen können. Andere tun sich schwer, weil sie nun mit sich und miteinander etwas anfangen müssen. Bei einigen fehlt es an Rückzugsmöglichkeiten. Präsenz braucht ein gesundes Verhältnis von Distanz und Nähe. Auch zu Hause braucht es einen Ort, um zur Ruhe zu kommen. Gleichzeitig geht es zu Hause gut, wenn Raum für Interesse am anderen da ist. Gelingt es zu Hause Nähe zu leben? Hinhören, Aufmerken, Mitdenken, sich mitteilen, auf Fragen reagieren vermitteln Nähe. Auch gemeinsame Mahlzeiten, Morgen- und Abendrituale, Singen und Beten schaffen Nähe. Ein altes Gebet vom Kirchenvater Augustin holt mich immer wieder ab und bringt mich in eine gute Spur: „Unruhig ist mein Herz, bis es findet Ruhe, Gott, in dir.“ Manchmal hilft es, die Unruhe wahrzunehmen und auszusprechen. Wer zur Ruhe kommt, kann auch präsent sein. Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen das. Haben wir Ihnen gegenüber nicht eine Präsenzpflicht? Nicht rund um die Uhr, aber zumindest zu bestimmten Zeiten. Es tut auch jedem Erwachsenen gut, ganz da zu sein. Weniger im Sinne einer Anwesenheitspflicht, sondern im Sinne des Füreinander-
und Miteinanderlebens.

Was zum „Präsentsein“ helfen kann, beschreibt ein Lehrer-Schüler Gespräch ganz gut: Ein Meister wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so glücklich sein könne. Er sagte: „Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich esse, dann esse ich, wenn ich liebe, dann liebe ich …“ Dann fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: „Das tun wir auch, aber was machst Du darüber hinaus?“ Er sagte wiederum: „Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich esse, dann esse ich, wenn ich liebe, dann liebe ich …“ Wieder sagten die Leute: „Aber das tun wir doch auch!“ Er aber sagte zu ihnen: „Nein – wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon, wenn ihr steht, dann lauft ihr schon, wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel.“

Mit herzlichem Gruß,
Ihr/Euer
Hartmut Sölter, Pastor